Passauer Liedertisch

Zur Präsentation des "Passauer Liedertischs"

Der sog. "Passauer Liedertisch", eine Steinätzarbeit aus dem Jahr 1590, ist das älteste erhaltene Denkmal mehrstimmiger Musik aus dem Umfeld der Passauer Domkirche. Der Tisch gehört heute zum Inventar der Kunst­kammer des Kunst­historischen Museums Wien. Auf der äußeren Bahn des kreisrunden Tisches sind dreimal die Einzelstimmen Cantus, Altus, Tenor und Bassus in Mensuralnotation eingeätzt. Das Madrigal Fugga longe da me wurde von Marc'Antonio Ingegneri (1547-1592) komponiert: Fugga longe da me torment'e noia, poi che la donna mia, tutta cortes'e pia, gli accesi spirti miei nutrisc'in gioia. Alma, ch'ardendo d'infocat'ardore, di speme vòta et colma di desire bramasti di morire. Cant'or con liet'e con ridente core, poi che la donna mia..
Das Chanson Deus qui bonum vinum creavit (LV 229) ist eine Kon­tra­faktur eines calvinistischen Liedes. Der Text gibt sehr frei Ezechiel Ka­pi­tel 33 wieder: Deus qui bonum vinum creavit, et vino abutentes capitis dolore mulctavit. Tollet prorsus istis intellectum, nec umquam quietum invenient lectum.
Das deutsche Trinklied Seitt frisch auf ir Lieben geste ist eine Kon­tra­faktur des Chansons Margot labourez les vignes (LV 169): Seitt frisch auf ihr Lieben geste, date nobis bibere. Besser ist ein gutter Wein dan Biere. Last uns fröhlich sein in allen Ehren, Gott der Herr der wel uns dies bescheren; le­va­te das gläslein; Umbher geh; date nobis bibere. Besser ist ein guter Wein dan Biere. Ghabt euch alle wel und seit Freiden vol: bibite das gläslein: Umbher gehe: date nobis bibere. Besser ist ein gutter Wein dan Biere. Beide Werke wurden von Orlando di Lasso (1532-1594) ge­schaffen. Fürstbischof Urban schätzte Lassos Musik. Orlando widmete dem Bischof die sechs­stimmige Motette Regnum mundi.

Technische Umsetzung

Für die Kodierung der Mensuralnotation kamen zwei unterschiedliche MEI-Module zur Anwendung. Mensural Notation erlaubt die originalgetreue Wiedergabe der Notensymbole und Mensurzeichen. Eine Übertragung in moderne Notation wurde mit Common Music Notation (CMN) realisiert. Die beiden Module unterscheiden sich in der Kodierung der Notenlängen grundsätzlich. Es handelt sich also nicht einfach um einen Tausch der Schlüssel und das Hinzufügen der Mensurzeichen (vgl. Dokumentation MEI Mensural Notation). Auswahlbuttons ermöglichen den Wechsel von einer zur anderen Codierungsart. Die Einzel­stimmen wurden bei beiden Arten in die Partiturschreibweise überführt. Die Notation wird mit Hilfe des Verovio-Toolkits clientseitig im Browser gerendert. (Die aktuelle Version von Verovio ist noch nicht in der Lage, Liedtext für Mensural Notation anzuzeigen. Ferner werden die Notenhälse noch nicht mittig zu den Notenköpfen angezeigt, wie es in der Mensuralnotation üblich ist.) Eine aufwendige JavaScript-Programmierung erlaubt die gleichzeitige Betrachtung der originalen Vorlage (Bildausschnitt des Liedertischs), die sich parallel zur Notenübertragung bewegen lässt, und der Übertragung selbst. Die jeweilige Stimme in der Partitur wird entsprechend der Bildvorlage rot markiert. Zusätzlich ist es möglich, den vollständigen Liedertisch zu be­trach­ten, die Abbildung zu zoomen und zu drehen. Die Verwendung eines aktuellen Browsers wird empfohlen (am besten Firefox Ver. 43 oder neuer), JavaScript muss im Browser aktiviert sein.

Ausführende Künstler der Hörbeispiele

Fugga longe da me : Passau Brass, Leitung: Michael Beck. © Passau Brass
Deus qui bonum vinum creavit : Pierre Pitzl, Marcy Zimmermann und Christian Zinke spielen auf Instrumenten der Musiksammlung des KHM (Gamben von Antonio Ciciliano, SAM 70, 71 und 72. © Kunsthistorisches Museum Wien Museumsverband).

Seitt frisch auf ir Lieben geste : Ensemble NOVA unter Colin Mason mit Richard Labschütz (© Kunsthistorisches Museum Wien Museumsverband)

 

Kunsthistorische Einordnung

Der sogenannte „Passauer Liedertisch“, ein beachtenswertes Dokument süddeutscher Musikgeschichte und außergewöhnliches Kunstwerk der Renaissance, wurde 1590 von dem Passauer Graveur und Steinätzer Caspar von der Sitt geschaffen. Sitt ätzte in die Solnhofener Steinplatte in mehreren kreisförmigen Bah­nen ornamentale Muster, figurale Zeichnungen, ein Gedicht und Noten und hob durch eine malerische Ausgestaltung 25 Wappen hervor: zentral positioniert er das Wappen des Fürstbischofs von Passau Urban von Trennbach, und ordnete kreisförmig 24 Wappen in Arkadenstellungen an, von denen 23 mit den Namen der Mitglieder des Domkapitels versehen sind. Laut der geätzten Innschrift wurde der Tisch zu Ehren und ewigem Gedächtnis des Fürstbischofs Urban ge­schaf­fen. Die Inschrift verweist weiters auf das astrologische System der Planetenstunden, das Tag und Nacht in je zwölf ungleiche Teile gliedert, die von jeweils unterschiedlichen Planeten beherrscht werden. Visualisiert wird dieses System in Form einer in die sieben Wochentage geteilten Tabelle mit eingetragenen Planetenzeichen und den in feiner Linienzeichnung gestalteten Darstellungen der römischen Gottheiten Sol, Luna, Mars, Merkur, Jupiter, Venus und Saturn. Die Gottheiten symbolisieren die Planeten und Namensgeber der Wochentage (Sol/Sonne – Sonntag, Luna/Mond – Montag usw.) und werden von Tieren und Fabelwesen in Wägen über Wolkenbänder gezogen. In den äußeren kreisförmigen Bahnen der steinernen Rundplatte befindet sich ein in zwölf Verse geteiltes Gedicht, das auf die Vergänglichkeit des Lebens hinweisen soll und durch ein ornamentales Band von den am Rand des Tisches gezeichneten Noten und Liedtexten getrennt wird. Erst durch ein mehrfaches Umschreiten des runden Tisches offenbaren sich dem/der Betrachter/in die Inhalte der unter­schiedlich gestalteten Kreisbahnen und ihre Bezüge zueinander.

Caspar von der Sitt schuf Ende des 16. Jahrhunderts weitere, ähnlich gestaltete Stücke wie den „Amberger Liedertisch“ und ordnet sich so in eine Reihe im süddeutschen Raum tätiger Künstler ein, die die Technik der Steinätzkunst zur Herstellung von Liedertischen anwandten. Der ursprünglich im Graf Herberstein’schen Kanonikatshofe in Passau aufbewahrte und später im Lambergpalais befindliche „Passauer Liedertisch“ ist heute Teil der Kunstkammer des Kunsthistorischen Museums in Wien (Objekt KK 2410).

Stefanie Linsboth, Abteilung Kunstgeschichte des IKM

 

Fürstbischof Urban von Trennbach (1561-1598)

Mit seiner Regierung von 37 Jahren ist Urban zu einem der größten Fürstbischöfe von Passau geworden, mildtätig, kirchenstreng. Die Gegenreformation fegte jetzt in der Stadt Passau die letzten Anhänger der Reformation hinweg. Gleichzeitig setzte sich unter Urban von Trennbach die durch das Konzil von Trient ausgehende Glaubenserneuerung des Katholizismus, die sog. "Katholische Reform" durch. Anders als in anderen Bischofsstädten verzichtete Bischof Urban zur Bekämpfung der Neuen Lehre auf die Jesuiten. Er rief 1564 den Orden der Franziskaner, und zwar die strenge Richtung, die Observanten, nach Passau. Auf den Salzburger Provinzsynoden von 1569 und 1573 erwies sich Urban als einer der reformeifrigsten Bischöfe. Die Kurie rechnete ihn im Jahre 1570 zu jenen deutschen Bischöfen, auf deren katholische Haltung man uneingeschränkt vertrauen konnte.

Die Hauptsorge Urbans galt der geistigen und sittlichen Erneuerung des Diözesanklerus. Er ordnete eine Reorganisation der Dekanatseinteilung an und schärfte den neubestellten Landdekanen ein, Zucht und Lebenswandel der Geistlichen gewissenhaft zu überwachen. Seinem Klerus gab er gegen ein bescheidenes Entgelt gute katholische Bücher in die Hand. Bischof Urban war darüber hinaus bestrebt, möglichst bald ein Priesterseminar nach den Wünschen des Konzils von Trient zu errichten. Hier blieb ihm indes der Erfolg versagt, da das Domkapitel und vielfach auch die anderen Pfründeinhaber jede finanzielle Beihilfe verweigerten. Überdies lehnten die weltlichen Landesherrn strikt jede finanzielle Belastung der Kirchen- und Pfründestiftungen für Seminarzwecke ab.

Bemerkenswert ist, daß ausgerechnet dieser aus niederbayerischem Geschlecht stammende Passauer Bischof es war, dem es das Haus Habsburg zu danken hat, daß Passau nach zwei Jahrhunderten dem Einfluss Bayerns entzogen wurde, und zwar bis zur Säkularisation (1803). Bayerns eigensüchtige und unkluge Politik gegen die Passauer Handelsinteressen wollte dieser durchaus selbstbewusste Fürstbischof nicht ungestraft hinnehmen. Von den Wittelsbachern enttäuscht, tat er alles, einen Habsburger als Koadjutor mit dem Recht der Nachfolge zu gewinnen. Da das Domkapitel mit der einen Hälfte der Stimmen den Habsburger Leopold, mit der anderen Hälfte den Wittelsbacher Ferdinand als Koadjutor bestimmte, konnte er Rom die Entscheidung überlassen, das sich 1598 für Erzherzog Leopold als Bischofskoadjutor entschied.

Quelle: August Leidl: Die Bischöfe des Bistums Passau, in: Handbuch des Bistums Passau. Stand: 1.8.1981, Passau 1981, 11-54.

 

Weitere Literatur: Bertha Wallner: Musikalische Denkmäler der Steinätzkunst des 16. und 17. Jahrhunderts nebst Beiträgen zur Musikpflege dieser Zeit, München 1912. Yvonne Silke Jäger: Die Steinätzung von Rosegg. Ein Beitrag zur Ars moriendi des 16. Jahrhunderts (Diplomarbeit Universität Wien), Wien 2010 (download). "Passauer Liedertisch" im RegioWiki Niederbayern. Datenbank Orlando di Lasso der Bayerischen Akademie der Wissenschaften München.

Noteneditionen: Deus, qui bonum vinum creavit: Dixhuitieme livre de chansons à quatre et cinq parties, par Orlande de Lassus, Paris 1567. Fugga longe da me: Ingegneri, Marc'Antonio: Il primo libro de madrigali a quatro voci. Nouvamente con ogni dilligentia ristampati, Venedig 1578, Nr. 19.

Unser besonderer Dank gebührt dem Kunsthistorischen Museum Wien für die Erlaubnis zur Verwendung der Abbildung des Liedertischs und den Musikern für die Bereitstellung der Audioeinspielungen.

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