Leopold I.: Mottetto Heu! heu! heu! Peccatores

Mottetto di sua Maestá Cesarea Leopoldo Primo. Heu! heu! heu! Peccatores


á 4 voci [Soprano, Alto, Tenore, Basso], 3 Viole da gamba [e Organo]. Con ripieni.

Geistliches Konzert für die Karsamstags-Andacht in der großen Hofburgkapelle.
Partitur (Abschrift) aus der Schlafkammerbibliothek Leopolds: A-Wn Mus.Hs. 15844 (Vor­sig­natur: A.N.33.A.3.)

Stimmensatz der Hofburgkapelle (1. Hälfte 18. Jh.): A-Wn Mus.Hs. 16053
23 Stimmen: CATB concerto und ripieno, Viola da Gamba 1-3 con., Viola 1-3 rip., Basso di Viola e Fagotto rip., Cornetto rip., Trombone 1-3 rip, Violone, Tiorba und 2x Organo.


Verovio - Edition

Edirom - Edition

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Am Wiener Kaiserhof waren zurzeit Kaiser Leopolds szenisch-musikdramatische Aufführung vor dem Heiligen Grab üblich. Die am Gründonnerstag und Kar­frei­tag aufgeführte Rappresentazione sacra al Santissimo Sepolcro (Sepolcro) beinhaltet Reflexionen auf den Tod Christi, wiederholt also mit eigenen Worten die in der Liturgie des Sacrum Triduum vorgetragenen Passionen. Die hier vorgestellte Motette Heu! heu! heu! Peccatores passt thematisch zum liturgischen Geschehen des Karsamstags. Der kaiserliche Hof hielt bei einer Andacht in der großen Hofburgkapelle Wache am Heiligen Grab.

Die Gottesdienstordnung zur Zeit Karls VI. (1711-1740), von Friedrich W. Riedel in Kirchenmusik am Hofe Karls VI. (München-Salzburg 1977) ediert, nennt für die bei dieser Andacht aufgeführte konzertierende Musik die Sequenz Stabat mater dolorosa von Kaiser Leopold I. (A-Wn Mus.Hs. 15731, 1670) und die Motette Miserere peccavi von Marc’Antonio Ziani (~1653-1715). Vermutlich verdrängte das Werk des Hofkomponisten Karls VI. das ältere von Kaiser Leopold. Die Sequenz Stabat mater dolorosa und die Motette Heu! heu! heu! Peccatores sind strukturell sehr ähnlich und zeigen eine identische Besetzung (Chor, vier Viole da Gamba und Orgel). In beiden Werken werden die Solisten von einem Gambenquartett konzertant begleitet. Die dunkle Klangfarbe der Instrumente passt zur bedrückenden Stimmung der Grabeswache.

Die Motette zeigt einen Dialog zwischen dem Verkünder („Evangelist“), gesungen vom Basssolisten, und den Sündern, vorgetragen von den Sopran-, Alt und Tenorsolisten. Der Chor bittet mehrmals um das Erbarmen Gottes. Der gemeinsame Schlusschor Sei mit gnädig lieber Jesus stimmt auf die Auferstehung Jesu ein.

Quellen: Herbert Seifert: Sepolcro in Oesterreichisches Musiklexikon. Marc Strümper: Die Viola da Gamba am Österreichischen Kaiserhof (Dissertation Uni­versi­tät Wien 2001).

Werkbeschreibung von Herbert Seifert

Die Motette „Heu, heu, heu! Peccatores“ ist nach ihrem Textinhalt, der auf die Passion Christi Bezug nimmt, wohl für einen Gottesdienst in der Passionszeit bestimmt. Auf die wehklagende Anrufung der Sünder folgt ein Satz aus dem Buch Jesaja (57,1) des Alten Testaments, der auf Jesu Tod bezogen wird. Der Rest ist Neudichtung in großteils gereimten Versen. Wie der Text ist auch die Musik freier gestaltet als im Stabat mater, als Abfolge von kurzen, in Besetzung und Faktur wechselnden Abschnitten. Leopold hat hier vier Solosänger und Chor vorgesehen, dazu nur drei Violen da gamba, in Alt- und zwei Tenor­schlüsseln notiert, und die Orgel. Eine Unterstützung der Chorstimmen durch Zink und Posaunen entspricht der Praxis der Zeit und wird durch zusätzliche Stimmen zu dieser Motette aus dem 18. Jahrhundert bestätigt.

Die Gamben werden zunächst ausschließlich als akkordische Begleitung der Rezitative des Bassisten eingesetzt, die er jeweils vorwurfsvoll an die Sünder richtet. Diese antworten solistisch schuldbewusst und zerknirscht; der Chor schließt danach immer mit der Bitte um Gnade. Diese Abfolge wiederholt sich dreimal, bevor sich im abschließenden Teil auch der Bass in einem Arioso bittend an Gott richtet und die Gamben auch den Chor begleiten. Schließlich wechseln sich Bass-Solo und Chor in der nun hoffnungsfroh nach G-Dur gewandten Bitte ab. Vor diesem Finalteil bildet das klagende Intervall der vermin­derten Quart einen Rahmen um die Abschnitte: zu Beginn in fallender, am Ende in steigender Richtung.


Sequenz Stabat mater dolorosa, Edirom - Edition

Kurzbeschreibung im Katalog der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek

Bass: Heu! heu! heu! Peccatores iustus periit et non est qui recogitet in corde suo mortem substinuit amore non more caritate non necessitate ad maiora etiam tormenta ultra paratur. Bass: Weh, ihr Sünder, der Gerechte ist dahingegangen, und da ist keiner, der es in seinem Herzen bedenkt; er hat den Tod auf sich genommen, aus Liebe, nicht nach Gesetz, aus Nächstenliebe nicht aus Notwendigkeit er wird auch noch größeren Qualen ausgesetzt sein.
Canto: Ego reus tu damnatus ego homo et tu deus o quam iustus dolor, dolor meus. Canto: Ich bin schuldig, du verdammt, ich der Mensch und du der Gott, o welch gerechter Schmerz, mein Schmerz.
Soli/Tutti: Mundi salus caeli decor, parce mihi, parce precor. Soli/Tutti: Das Heil der Welt, die Zierde des Himmels, sei mir gnädig, so bitte ich.
Bass: Vendi se permisit ut vos exigeret caput in cruce inclinavit, ut vos exigeret spiritum emisit ne vos ammitteret. Pro iniquitatibus vestris cum iniquis reputatus. Bass: Er ließ sich verkaufen, um euch zu befreien, er neigte am Kreuz sein Haupt, um euch zu befreien, er hauchte seinen Geist aus, um euch nicht zu verlieren. Für eure Verbrechen ist er unter die Missetäter gezählt worden.
Alto: Ego reus … Alto: Ich bin schuldig ...
Soli/Tutti: Mundi salus caeli decor ... Soli/Tutti: Das Heil der Welt ...
Bass: Etiam si tamquam reos vos odisset eum debetis amare quia vos creavit, quid facietis autem, quia vos amavit, vos redemit, vos salvavit. Bass: Auch wenn er euch gleichsam hassen würde, seid ihr ihm Liebe schuldig, denn er hat euch geschaffen. Was macht ihr aber? Da er euch geliebt, euch erlöst, euch geheilt hat?
Alto: Pulvis sumus nil valemus nisi corde condolere, nisi amare semper fiere, Alto: Wir sind Staub, wir vermögen nichts als im Herzen mitzuleiden, wenn nicht zu lieben, immer zu weinen.
Soli/Tutti: Parce Iesu miserere. Soli/Tutti: Sei mir gnädig, o Jesus, erbarme dich.
Bass: Quid ergo retribuetis pro vulneribus Christi in cruce pendentis pro sanguine morientis pro beneficio redementis. Bass: Was also, was gebt ihr für die Wunden des am Kreuze hängenden Christus, für das Blut des Sterbenden, für die Wohltat des Heilenden?
Tenore: Umbra sumus nil habemus quod prestemus tanto amori nisi optare secum mori. Tenore: Ein Schatten sind wir und haben nichts, was wir geben könnten für solche Liebe wenn nicht den Wunsch mit ihm zu sterben.
Solo/Tutti: Parce Iesu peccatori. Solo/Tutti: Sei, o Jesus, dem Sünder gnädig.
Bass: Bone deus dulcis amor si tu mortuus es pro me, fac me dignum ista spe, quod non vivam sine te, quod non moriar sine te, quod non vivam sine te. Bass: Guter Gott, süße Liebe, wenn du gestorben bist für mich, mach mich würdig dieser Hoffnung, dass ich nicht lebe ohne dich, dass ich nicht sterbe ohne dich.
Soli/Tutti: Parce mihi Iesu care et ut possis me salvare fac me amplius non peccare. Parce mihi Iesu care, parce mihi Iesu care. Soli/Tutti: Sei mir gnädig, o Jesus, lieber Jesus, und damit du mich retten kannst, gib, dass ich nicht ferner sündige. Sei mir gnädig, lieber Jesus, sei mir gnädig, lieber Jesus.

(Übersetzung: Konrad Ruhland)